KI-Influencer: Sind wir nicht alle ein bisschen Emma?

Seit ein paar Tagen ist die Travel-Influencer-Bubble in heller Aufregung über die neue KI-Influencerin Emma der Deutschen Zentrale für Tourismus. Die Vorwürfe: unecht, unauthentisch, wer braucht so einen Müll? Allerdings stellt kaum jemand die eigentlich interessante Frage: Wie konnte es überhaupt so weit kommen, dass ein Marketing-Verband es für eine gute Idee hält, mit einem besseren Chatbot für den Tourismus-Standort Deutschland zu werben? Versuch einer Erklärung.

In diesem Beitrag:

„Hallo, ich bin Emma, die neue KI-Influencerin von Travel Destination Germany“. So stellt sich Emma in ihrem ersten Video-Clip als angehende Travel-Ikone auf Instagram vor. Dazu gibt’s ein paar Collagen aus ihrem Alltag als Influencer. Emma im Zug, Emma vor dem Brandenburger Tor, Emma mit Fotoapparat in der freien Natur. Alles ganz nett zusammengeschnitten, technisch nicht schlecht gemacht, aber auch mit dem Flair einer Hochglanzbroschüre, die man drei Sekunden später schon wieder vergessen hat.

Die Reaktionen auf ihren ersten Auftritt waren so laut wie vorhersehbar negativ: „Nein Danke.“ „Wie kann eine unechte Person echte Leute zum Reisen inspirieren?“ „Es gibt doch so viele richtige Influencer.“ „Wer hat sich diesen Fake-Müll ausgedacht?“ Gut… wir leben in Deutschland. Hier wird erstmal aus Prinzip alles schlechtgeredet. Ich erspare euch den Rest, wer mag kann sich durch den gesamten Kommentarbereich lesen. Ich habe nach ungefähr 100 Kommentaren aufgehört, als die Stoßrichtung klar war: Einfach nur schlecht.

Der entsprechende Beitrag auf Instagram:

Emma: Die neue KI-Influencerin aus Berlin

Bevor wir weitermachen und mir irgendjemand vorwirft ich würde Emma verteidigen: Ja, ich finde die Idee etwas bescheuert und ja, als Blogger, der tatsächlich in der echten Welt auf Reisen geht, sehe ich den KI-Trend auch eher kritisch. Abgesehen davon, dass die Persona, die sich die Tourismuszentrale da ausgedacht hat, so unglaublich durchschnittlich rüberkommt und auch optisch so exakt alle Klischees des westlich-urbanen Travel-Influencers bedient, dass es schon wehtut.

Ich wäre gern in dem Meeting dabei gewesen, in dem das Marketing-Team das Aussehen der künstlichen Person diskutierte. Vielleicht lief es ja so ab:

KI-Programmierer: „Also Emma ist ja Deutsche. Ich weiß es klingt platt, aber ich finde sie sollte schon blond sein.“

Stirnrunzeln bei den übrigen Teilnehmern. „Hmm… okay. Aber zu viel Klischee geht auch nicht. Wir leben ja im 21. Jahrhundert. Geben wir ihr doch wenigsten diesen feschen Bob-Schnitt. Ich hab´ in der Vogue gelesen, dass soll dieses Jahr in sein“.

Allgemeine Zustimmung, anschließend die vorsichtige Anmerkung des Social Media Managers: „Unsere Tests haben ergeben, dass wir 37 % mehr Engagement erhalten, wenn wir nackte Haut zeigen. Könnten wir nicht…?“

Scharfer Einwurf der Teamchefin: „Auf keinen Fall! Unsere Emma ist eine moderne Frau. Sie darf sexy rüberkommen, aber nicht zu billig. Also hütet euch davor, den Ausschnitt zu tief zu machen und übertreibt’s bloß nicht mit der Körbchengröße.“

„Aber…“

„Nein, keine Diskussion. Und auch keine Tanktops. Wir wollen ein seriöses Image projizieren. Emma trägt immer schön einen Rollkragenpulli und Trenchcoat.“

„Okay, aber Jeansjacke beim Citytrip können wir schon machen, oder? Emma geht ja auf Reisen und nicht auf Business-Meetings. Außerdem müssen wir auch noch die wachsende Zielgruppe der Outdoor-Begeisterten ansprechen. Wir brauchen mindestens einen Shot mit Goretex-Jacke.“ 

„Na gut, aber nur wenn ich dafür ich eine Einstellung mit Coffee-to-go-Becher bekomme. Das ist so relatable bei den young professionals.“

Ideal-Persona aus dem Marketing-Labor

Wie auch immer es im Einzelnen ablief: Das Ergebnis ist Emma, die moderne Influencerin, die durch die Welt zieht – oder zumindest so, wie sich ein deutsches Marketing-Team eine ideale Influencerin vorstellt. Ein möglichst exakter Querschnitt aller abzudeckenden Zielgruppen, destilliert in eine politisch korrekte Ideal-Persona, die so viele Leute wie möglich anspricht ohne irgendjemandem wehzutun. Eine Frau, wie aus dem Ei gepellt, immer ein strahlendes Lächeln auf dem Gesicht, eigentlich zu perfekt für diese Welt. Aber es geht ja auch darum, Träume zu verkaufen, nicht wahr?

Klar, ein paar handwerkliche Fehler sind dem Team unterlaufen, worauf sich die Kritiker natürlich auch sofort stürzten. Wie kann man in unseren umweltbewussten Zeiten denn noch einen Einweg-Kaffeebecher benutzen? Außerdem fehlt da doch ein Finger. Warum spricht Emma eigentlich perfektes RP-Englisch? Ein leichter deutscher Akzent wäre doch realistischer. Und wieso regnet es nicht in Hamburg?

Auch die Persönlichkeit von Emma ist, sagen wir mal…. ausbaufähig. Es gibt zwar ein rudimentäres Interface, um mit Emma zu chatten. Viel gibt sie aber nicht von sich Preis. Ich habe mir wirklich Mühe gegeben und wollte sie ein bisschen näher kennenzulernen. Aber ich konnte nur folgendes rausfinden:

  • Emma ist 35 Jahre alt und lebt in Berlin.
  • Sie arbeitet als freiberufliche Marketing- und Technologieexpertin.
  • Sie hat eine Leidenschaft für Reisen und Kultur und liebt es, ihre Erlebnisse mit anderen zu teilen.
  • In ihrer Freizeit besucht Emma gerne Konzerte, kulturelle Veranstaltungen und Festivals und arbeitet ehrenamtlich in einem Kulturcafé.
  • Sie hat ein Bachelorstudium in Media Studies in Amsterdam absolviert. Danach hat sie einen Master in Digital Marketing in Madrid gemacht, um das vorherige Wissen zu vertiefen.

Okay… auf den ersten Blick doch gar nicht so unsympathisch. Allein, es hapert an den Details. Wo wohnst du denn genau in Berlin? Nur mal so aus Interesse natürlich… Was magst du am Reisen? Was sind deine Hobbies? Auf all diese Fragen bekommt man immer nur Ausflüchte zu hören: „Ich glaube ich habe dich nicht verstanden. Bitte formuliere deine Frage nochmal.“

Emma KI Influencer Instagram Chat

Ach, Emma… stell dich noch nicht so an.

(Immerhin hat sie mir verraten, dass sie einen Freund hat, den sie im Studium kennengelernt hat. Aber den Namen und das Alter – na gut… sowas fragt man eine Dame eigentlich auch nicht beim ersten Treffen.)

Ja. Über all das kann man sich lustig machen. Ja. Emma ist, wie Thomas Gigold auf seinem Blog anmerkt, hinter der schönen Fassade in Wirklichkeit nur ein relativ primitiver Chatbot, der selbst ChatGPT wie Albert Einstein aussehen lässt. Und ChatGPT ist bekanntlich ja auch nicht gerade die hellste Leuchte im Raum.

Was mir bei der ganzen Geschichte aber ein bisschen zu kurz kommt, ist die folgende Frage: Wie kann es eigentlich sein, dass ein Marketing-Verband findet, dass es eine gute Idee ist, einen künstlichen Influencer zu programmieren und auf die Massen loszulassen? Und da wird es spannend.

Emma KI Influencer Marketing Team.

Kann ein KI-Chatbot echte Erlebnisse verkaufen?

Einer der am häufigsten geäußerten Vorwürfe, den ich in der Debatte gehört habe, lautet: Emma ist keine echte Person. Also kann sie auch keine echten Erlebnisse und authentischen Erfahrungen teilen. Genau darum geht es aber beim Reisen. Also kann Emma auch niemals einen echten Influencer ersetzen.

Aber stimmt das wirklich? 

Wollen wir das und – vielleicht noch wichtiger – bekommen wir diese authentischen Erfahrungen, denn wirklich von den richtigen Travel-Influencern auf Instagram?

Zur ersten Frage: Ja, ich würde sagen, die meisten Leute wollen gerne von authentischen Reiseerlebnissen hören und ihre Informationen auch am liebsten von echten Menschen. Andererseits ist das aber auch nicht in Stein gemeißelt. Gerade beim Punkt Information ist heute zumindest schon ein kleiner Teil bereit, auch den Vorschlägen von Tools wie ChatGPT zu folgen. Ich habe das selbst bei meinem letzten Trip nach Nepal erlebt. Da haben sich etliche der jüngeren Backpacker ihre Itineraries einfach automatisch zusammenstellen lassen. Ich würde vermuten, dass wird in Zukunft noch weiter zunehmen.

Wie echt sind die echten Influencer?

Spannender finde ich aber Frage Nummer Zwei: Wie authentisch sind denn eigentlich die echten Travel-Influencer? Und da muss ich ehrlich sagen, bei vielen Accounts sehe ich gar keinen so großen Unterschied zu Emma. Ich will hier nicht behaupten, dass auf Instagram und Co. nur kompletter Müll gepostet wird, das wäre unfair. Aber es ist doch auffällig, wie häufig und wie stark sich die Beiträge ähneln. Im Travel-Bereich sehen wir da beispielsweise immer wieder:

  • Glückliche weiße Menschen im Restaurant einer fremden Stadt  
  • Sonnenuntergänge in 1.001 Variationen
  • Tropisch anmutende Strände mit Palmen und türkisblauem Wasser
  • Weibliche Influencerinnen (bevorzugt mit Hut) in den romantischen Gassen einer x-beliebigen Altstadt
  • Posieren vor Seen/ generell beeindruckender Landschaft
  • Bei Outdoor-Accounts der einsame Wanderer im Gebirge

Und so weiter. Es gibt da noch ein paar mehr Motive, die immer wieder auftauchen. Das ist auch gar nichts Neues. Das wissen wir schon seit Jahren, spätestens seit der Account Insta Repeat darauf aufmerksam machte, wie sehr sich die Bilder auf Instagram eigentlich ähneln. Und dieser unerbittliche Zwang zur Konformität ist seitdem nicht besser geworden, nur dass Instagram heute mehr auf Videos setzt. Die ähneln sich aber genauso. Und zumindest ich stelle mir dann die Frage: Wenn eh alle das Gleiche oder fast das Gleiche posten, was bedeutet es denn dann genau ein „authentischer Travel-Influencer“ zu sein? Dass ich sage, dass es auch mal geregnet oder mir der Kaffe nicht geschmeckt hat?

Warum auf Instagram alles gleich aussieht

An dieser Stelle müssen wir etwas ins Detail gehen und die Frage klären: Warum wirkt heute auf Instagram eigentlich alles so gleichförmig? Ich glaube, dazu sollten wir uns zwei Sachen klarmachen. Nummer 1 hat mit der Plattform selbst zu tun, Nummer 2 mit der menschlichen Natur.

  1. Instagram belohnt Engagement und professionelle Content Creator.
  2. Content Creator sind Menschen und Menschen sind in vielen Punkten viel weniger einzigartig, als sie das vielleicht selbst von sich glauben.

Das Engagement-Dilemma

Vielleicht gibt es noch jemanden, der sich zurückerinnert. Aber ja: Instagram war mal ein Ort, an dem normale Leute Fotos posten und anderen normalen Leuten folgen konnten. Ich weiß… im Jahr 2024 sehr schwer vorstellbar aber das ist auch schon lange her. Im Lauf der Jahre hat sich Instagram immer mehr zu einer Entertainment-Plattform gewandelt, bei der Beiträge belohnt werden, die die größtmögliche Aufmerksamkeit beim Publikum bekommen. Das ist heute die Währung: Engagement, also Interaktion mit den Beiträgen in Form von Likes, Shares und Kommentaren. Am besten so viel wie möglich.

Damit einher ging die rasante Professionalisierung der Content-Erstellung. Um heute Engagement auf Instagram zu erzeugen und für einen Beitrag mit vielen Likes „belohnt“ zu werden, muss man entweder Cristiano Ronaldo heißen, ausreichend Oberweite haben (und die auch zeigen), oder regelmäßig aufwändig produzierte Videoclips posten und sich permanente neue Posen und Tricks ausdenken, wie man an Aufmerksamkeit kommt. In diesem Umfeld sind Content Creator und Influencer zu den neuen Stars von Instagram geworden: Leute, die es besonders gut verstehen, Engagement zu erzeugen – und die vor allem auch die Zeit und die Ressourcen dazu haben, regelmäßig Content zu produzieren. Für den normalen Nutzer, der ein paar Likes für seinen Post möchte, ist es zunehmend unattraktiv geworden auf Instagram zu posten. Einfach weil es inzwischen zu schwierig ist, unter all den einschüchternd professionell produzierten Inhalten überhaupt noch rauszustechen. Was wohl auch eine Erklärung dafür ist, dass zunehmend weniger kommentiert und gepostet wird. Viele User konsumieren nur noch passiv: Der Ursprung des heute allgegenwärtigen „Doomscrolling“ – des endlosen, stumpfsinnigen Scrollens durch den niemals enden wollenden Feed aus bunten Bildchen und Clips.

All das hat dazu geführt, dass Instagram heute von professionellen Influencern, Marken und Unternehmen dominiert wird. Und hier geht es natürlich ums Geld. Marken wollen Produkte verkaufen, Influencer werden dafür bezahlt, Werbung für Produkte vor ihren Followern zu machen. Und wie bekommt man mehr Geld? Klar – je mehr Follower man hat, die die Werbung sehen. Die muss man aber erstmal anlocken. Und deshalb haben sich im Lauf der Zeit Strategien etabliert, um das Engagement besonders zu fördern und Follower zu bekommen, z.B. mit bestimmten Arten von Videos oder Motiven, bestimmten Hooks oder bestimmten Formen der Ansprache. Was eine vorhersehbare, aber leider unvermeidliche Folge hatte: Jeder, der als Influencer etwas reißen möchte, fängt an die erfolgreichen Influencer zu kopieren und ähnliche Beiträge zu posten, die ein ähnlich hohes Engagement generieren. Ergebnis: Irgendwie sieht vieles ziemlich gleich aus.

Allein aufgrund dieser allgemeinen Entwicklung, würde ich schon mal grundsätzlich in Frage stellen, wie authentisch Instagram heute als Kommunikationsmedium überhaupt noch ist. Womit ich nicht sagen will, dass die Plattform ausschließlich aus gesponsorten Beiträgen besteht, in denen mir jemand was verkaufen will. Und ich möchte hier auch nicht alle Influencer unter Generalverdacht stellen, dass sie sich permanent verstellen oder anderen etwas vormachen. Es gibt durchaus coole Accounts auf Instagram. Gleichzeitig aber auch einen systembedingten Mechanismus, der dazu verleitet, andere Influencer zu imitieren, um mit Likes belohnt zu werden. Speziell im Travel-Sektor führt es zudem zu dem sehr unschönen Phänomen des Overtourism. Viele Influencer fahren ganz bewusst zu bekannten Hotspots (obwohl sie es besser wissen müssten!), weil sie dadurch ein höheres Engagment beim Publikum erzielen. Damit tragen sie traurigerweise dazu bei, dass diese Locations noch bekannter werden und man sie irgendwann überhaupt nicht mehr genussvoll bereisen kann.

Dann ist da natürlich die ganze Geschichte mit den bezahlten Kooperationen. Das ist so offensichtlich und so oft ausgebreitet worden, dass ich das wohl nicht mehr weiter ausführen muss. Aber ich glaube, es ist ja ziemlich klar, dass hier immer ein offensichtlicher Widerspruch zwischen monetärem Interesse und ehrlicher persönlicher Meinung besteht und man sich bei jedem Influencer zweimal fragen muss: Wie glaubwürdig ist das denn jetzt wirklich, wenn mir Miss Beautifulmountaingirl83 diese tolle neue Sonnenbrille empfiehlt, wenn sie dafür bezahlt wird, genau das zu machen? Und wie authentisch ist die Hotelempfehlung von jemandem, der dafür kostenlos übernachten durfte. Sorry… aber wer nur ein Mindestmaß an Medienkompetenz hat, kann sowas eigentlich nicht ernst nehmen.

Vorläufiges Fazit: Bei vielen Beiträgen auf Instagram ist es zumindest fragwürdig, wie authentisch sie wirklich sind. Was uns zum zweiten Punkt führt, der menschlichen Natur. Und das ist natürlich gerade im Zusammenhang mit künstlich erstellten Persönlichkeiten ein höchst interessanter Untersuchungsgegenstand.

Originalität ist überbewertet

Wie einzigartig sind wir und unsere Erlebnisse denn überhaupt? In den negativen Kommentaren über Emma wurde das häufig als ultimatives Alleinstellungsmerkmal genannt: Wir sind doch alles Individuuen mit eigenen persönlichen Erfahrungen. Es kann doch nicht sein, dass ein Kunstprodukt, das gar keinen Bezug zur Welt hat, das einfach ersetzen und uns diese Welt dann auch noch zeigen will.

In gewissem Maß stimmt das natürlich. Ich würde aber sagen: Wir sind viel weniger einzigartig als wir es glauben und genau das sieht man auf Social Media wie auf dem Präsentierteller ausgebreitet: Fast alles was gepostet wird, war in der einen oder anderen Form schon mal da. Natürlich ist jeder von uns weiterhin eine Persönlichkeit mit einer eigenen Geschichte und eigenen Wünschen, Träumen und Befürchtungen. Aber in der Masse der Beiträge beginnt diese Individualität zu verschwimmen. Was auch daran liegt: Viele Entscheidungen, die wir scheinbar eigenständig treffen, sind gar nicht unsere eigenen, sondern werden von anderen vorweggenommen.

Um mal ein Beispiel aus meiner Outdoor-Nische zu nennen, in der ich meist unterwegs bin, wenn ich Instagram nutze: Die immergleichen Beiträge von Berglandschaften. „Sooo toll. Diese unglaubliche Natur. Ich hab‘ noch nie sowas Schönes gesehen.“ Das sind die Kommentare und die üblichen Empfindungen, die wir haben, wenn wir das sehen. Und wenn wir dann das Bild davon mit dem Herzchen-Smiley posten, glauben wir, dass diese Begeisterung ein authentischer Ausdruck unseres inneren Selbst in diesem ganz speziellen Moment ist. Ich will mich da überhaupt nicht ausnehmen. Tatsächlich hat das Ganze aber nichts mit individuellem Empfinden zu tun, es ist vielmehr Ausdruck eines gesellschaftlichen Codes. Wir sind in einer bestimmten Kultur aufgewachsen, die irgendwann entschieden hat, dass Berglandschaften schön sind. Das ist nicht vom Himmel gefallen und auch keine natürliche Reaktion, sondern das Ergebnis von sozialen Normen und einer langen kulturgeschichtlichen Entwicklung. Vor 500 Jahren wäre niemand bei uns auf die Idee gekommen, ein Gebirge als schön zu bezeichnen. Im Himalaya machen das die Sherpa noch heute nicht.

Okay… Ich will nicht zu weit abschweifen und auch niemanden mit Erkenntnissen aus dem Soziologie-Grundkurs langweilen. Die wichtige Erkenntnis: Wir sollten generell häufiger hinterfragen, wie individuell unseren ach so authentischen Erlebnisse denn wirklich sind. Das Ergebnis dürfte in vielen Fällen erhellend sein. Und bevor jetzt irgendjemand sagt: „Aber ich hab‘ doch in meinem Urlaub ganz andere Erfahrungen als du gemacht“. Ja klar, natürlich unterscheiden sich unsere individuellen Erlebnisse immer noch. Aber wie wir das bewerten, einordnen und kommunizieren – in diesem Punkt ticken wir zumindest in sehr vielen Fällen gleich. Am Ende läuft es in der Regel auf einen Mittelwert zu, auf den sich die meisten Mitglieder einer Gemeinschaft einigen können. Das macht auch evolutionär Sinn, wir sind eben immer noch Herdentiere und damit leben wir im Großen und Ganzen ja auch ganz gut.

Warum habe ich das jetzt so ausführlich referiert? Weil es eine spannende Frage aufwirft: Wenn sich unsere Erlebnisse häufig so sehr gleichen und die individuellen Empfindungen in vielen Fällen fremdbestimmt sind, weil sie vorgegebenen kulturellen Mustern folgen – kann ich, die entsprechende Technologie vorausgesetzt, mit diesen Mustern nicht einfach ein… sagen wir mal Computerprogramm füttern und eine Ersatzpersönlichkeit erstellen?

Meine Damen und Herren, darf ich vorstellen… Emma, 35, aufstrebende Reiseinfluencerin aus Berlin.

Was uns Emma über uns selbst verrät

Ich finde, man tut Emma unrecht, wenn man sagt, sie sei einfach nur eine schlechte Kopie von einem echten Influencer. Sie ist gleichzeitig mehr und weniger. Weniger, weil sie keine echte Persönlichkeit hat und wahrscheinlich auch niemals haben wird. Emma ist so als hätte Leonardo da Vinci die Mona Lisa ausschließlich in Primärfarben gemalt. Ihr fehlt das Unperfekte, die Eigenarten, die kleinen Ticks und Obsessionen, die uns erst zu einem echten Menschen machen, mit dem man sich vielleicht identifizieren kann. Aber sie ist auch mehr, weil sie die ästhetischen Ideale, unsere kollektiven Selbstbilder und die geheimen Wünsche einer ganzen Kultur in sich trägt.

Denn sind wir mal ganz ehrlich: Es gibt tausende von jungen Frauen auf Instagram, die täglich Bilder in Emma-Pose von sich produzieren und ins Netz stellen. Freiwillig, ganz ohne KI. Emma mag nur ein generischer Querschnitt davon sein, vielleicht auch nicht mal besonders gelungen. Aber ein Algorithmus kann nur das remixen, was bereits da ist. Und irgendwoher müssen die Vorbilder ja kommen. Insofern sei mir die Frage erlaubt: Hält uns Emma nicht einfach nur den Spiegel vor? Wären wir nicht vielleicht alle gerne ein bisschen wie Emma?

Instagram Influencerin vor Spiegel.

KI-Influencer: Die bessere Alternative für Unternehmen?

Was uns zum letzten und wieder etwas praktischeren Punkt führt, der Frage mit der ich den Artikel begonnen habe: Wie kommt die Deutschen Zentrale für Tourismus überhaupt dazu, so eine Idee durchzuwinken? Ein paar Gedanken dazu habe ich ja schon in den letzten Absätzen vorgestellt. Es sei mir verziehen, wenn ich zwischenzeitlich etwas abgeschweift bin. Um das nochmal kurz zusammenzufassen:

Es gibt ein Überangebot an Content auf Social Media, der sich in Stil und Ausdruck aus verschiedenen Gründen sehr stark ähnelt. Gleichzeitig gibt es heute Technologien, um große Datenmengen zu verarbeiten und zu neuen Mustern zu kombinieren. Ich würde das nicht unbedingt „KI“ nennen, weil das mit Intelligenz nichts zu tun hat. Aber kann man aus den vorhandenen Inhalten inzwischen relativ akzeptable Spiegelbilder der Wirklichkeit extrapolieren, die zumindest nicht sofort Abscheu hervorrufen und einem groben Realitätscheck standhalten. Und das Ganze wird mit jedem Tag überzeugender und einfacher.

Die nächste Frage wäre dann eigentlich nur: Welchen rationalen Grund gibt es, dass ein Unternehmen solche Technik nicht auch nutzt, um seine Effizienz zu steigern, z.B. im Marketing? Klar, man kann jetzt sagen, der Tourismusverband ist nur auf den KI-Zug aufgesprungen, weil das gerade der große Hype ist. Und man hätte das sicherlich besser umsetzen können, wie Thomas Knüwer in seiner ausführlichen Kritik der digitalen Marketinglandschaft in Deutschland aus Agenturperspektive darstellt. Von mir aus. Aber ich glaube, da steckt ein bisschen mehr dahinter. Könnte es nicht auch sein, dass man jetzt eine Social-Media-KI programmiert, einfach weil es geht? Weil so dermaßen viel Content in der glattgebügelten schönen neuen Influencer-Welt von Instagram bereits jetzt so generisch ist, dass es gar nicht weiter auffällt, wenn man das von einem Programm simulieren lässt?

Wir hatten eine ähnliche Entwicklung ja im Bereich SEO-Texte, also Texte, die geschrieben werden, um über Suchmaschinen gefunden zu werden. Auch hier hat sich im Lauf der Jahre eine unglaubliche Menge an nichtssagenden, gleichförmigen Inhalten angesammelt. Letztes Jahr sorgte ChatGPT für viel Aufsehen. Inzwischen lassen sich viele Unternehmen die billigen Standard-Texte, die man eigentlich nur zum Platzfüllen braucht, gerne von Sprachmodellen schreiben. Ich bekomme das jede Woche in meiner Arbeit als Texter und Content-Manager zu sehen. Und ich muss ehrlich sagen: ChatGPT macht das nicht viel schlechter als die Billo-Texter, die für 2 Cent pro Wort bei Textbroker ausgebeutet werden.

Vielleicht ist das jetzt einfach die gleiche Geschichte im Bereich Social Media: KI für den belanglosen Filler Content, über den man eh drüberscrollt. Anstatt für ein kleines Projekt irgendeinen 0815-Möchtegern-Influencer anzuheuern, nimmt man einfach jemanden wie Emma. Die beherrscht die branchenübliche Floskelsprache mit „charmanten Altstädten“ und „versteckten Juwelen“ genau so gut, sie ist immer verfügbar, sieht besser aus und stellt am Ende auch keine dummen Fragen.

Fließband-Content, weil der Algorithmus es so will

Niemand traut sich das laut auszusprechen und keiner will es hören – aber zur Realität von Social Media im Jahr 2024 zählt: Es geht häufig gar nicht mehr um die Inhalte und erst recht nicht um Substanz, sondern einfach darum irgendetwas zu posten, Präsenz im virtuellen Raum zu zeigen – auch wenn ich eigentlich gar nichts zu sagen habe. Dass ich mir dafür dann erst noch mühselig Beiträge aus den Fingern saugen muss und die User mit jedem weiteren mittelmäßigen Posting immer mehr abstumpfen… ja, das ist ein bedauerlicher Nebeneffekt. Aber was soll man machen? Der Algorithmus der großen Netzwerke ist gefräßig und will immer Nachschub. Man kriegt ihn einfach nicht satt.

Wer heute Social Media Marketing betreibt, egal ob als Influencer oder als Unternehmen, steht unter dem Zwang, permanent das Content-Fließband bedienen zu müssen, um online relevant zu bleiben. Das kann durchaus die Kreativität anregen und es gibt ja auch immer wieder interessante Resultate. Auf Dauer führt es häufig aber vor allem zu Überforderung – Social-Media-Burnout ist real. Und es setzt natürlich vor allem Marken und Firmen unter Zugzwang, die potentielle Interessenten über Social Media erreichen wollen, inhaltlich aber meist recht wenig zu sagen haben außer „Kauf mein Produkt“.

Wen wundert es da noch, dass Facebook dieses Jahr neue KI-Features vorgestellt hat, mit denen Firmen automatisiert Texte und Bilder erstellen und in die Timelines der User pusten können? Und wen wundert es, dass dann eben auch Tourismus-Destinationen anfangen darüber nachzudenken, wie man die Content-Erstellung streamlinen kann? Man kann eben nicht für jedes Kleinneuhausen dieser Welt einen eigenen Creator einstellen, der sich dann eine spannende Storyline ausdenkt. Vielleicht gibt es auch gar nichts Spannendes zu berichten. Aber Inhalte brauchen wir trotzdem – was nicht auf Social Media stattfindet, existiert schließlich nicht. Na, dann laden wir doch einfach mal Emma zu uns ein, die bringt mit ihrem Background als Marketing-Expertin ja genau die richtigen Kompetenzen für den Job mit…

Wie geht es mit Emma weiter?

Hat Emma eine Zukunft? Ich glaube schon. Tourismus-Marketing ist per Definition eine Industrie, die den Leuten einen schönen Schein verkaufen will und die schmutzige Realität des Reisens so gut wie möglich unter den Teppich kehrt. Die jetzt so viel beschworenen Werte – „Authentizität“, „Emotionen“, „Echte Erlebnisse“ – für einen Vermarkter ist das nur insofern interessant, wie es sich in quantifizierbaren Benchmarks niederschlägt: Klicks, Impressionen, Seitenaufrufe, Buchungen. Ob ich dafür jetzt einen echten Menschen durch mein Reel hampeln lasse oder eine Kunstperson – das wird man von Fall zu Fall entscheiden. Wichtig ist halt erstmal, dass die Performance stimmt. Und eine künstliche Persönlichkeit bietet aus Unternehmenssicht eigentlich nur Vorteile. Sie ist effizienter, preiswerter und einfacher zu steuern, weil man die komplette Kontrolle über die Marken-Kommunikation behält.

Natürlich muss die Simulation in den Details noch verbessert werden und man wird auch genau darauf schauen, wie das bei den Leuten ankommt. Bei Emma schien die Reaktion zumindest auf ihren ersten Instagram-Beitrag ja nicht gerade berauschend. Andererseits hatte ich aber auch den Eindruck, dass fast alle Kommentierenden selbst Influencer oder Marketing-Fachleute sind. Ich glaube nicht, dass das wirklich repräsentativ für die allgemeine Stimmung ist. Mich würde persönlich eher interessieren, wie das normale Publikum darauf reagiert. Ich kann mir vorstellen, dass die Wahrnehmung da deutlich milder ausfällt und dieser „Shitstorm“, den einige jetzt herbeireden wollen, in erster Linie ein Sturm im Wasserglas der Travel-Influencer-Bubble ist.

Ein letzter Punkt: Ich glaube, Emma wird auch deshalb bleiben, weil wir alle inzwischen abgestumpft sind. Es gibt einfach zu viel Content. Nicht nur auf Social Media, überall im Internet. Und das führt bei vielen zu einer gewissen Ermüdung. Dieses ewige Rumscrollen durch den Feed, die immer gleichen Motive in den Reels, immer die gleiche schöne Scheinwelt. Da ist einfach ein bisschen die Luft raus. In dieser allgemeinen Social-Media-Übersättigung macht es gar keinen so großen Unterschied, wenn wir jetzt eben noch eine künstliche Influencerin haben. Das ist nur eine weitere Stimme in einem Stück, das schon viel zu lange läuft und seine besten Zeiten hinter sich hat. Einen Lichtblick hat die Sache aber: Wir können ja immer noch selbst entscheiden, ob wir uns das weiter anschauen wollen. Vielleicht ist es einfach Zeit, mal wieder rauszugehen und sich die echte Welt mit allen ihren Ecken und Kanten mit eigenen Augen anzuschauen!

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Ohne Kaffee komme ich morgens nicht raus und kann keine neue Abenteuer erleben:)

Jetzt seid ihr dran: Was haltet ihr vom Emma? Würdet ihr einem KI-Influencer folgen? Und wie steht ihr zu Instagram im Allgemeinen? Nichts wie ab in die Kommentare – ich freue mich von euch zu hören!