Update November 2022: Die Kaserne Vogelsang wird derzeit in großem Stil abgerissen und renaturiert. Weitere Infos dazu am Ende des Artikels.
In diesem Artikel:
- Reisebericht
- Anreise
- Karte der Garnison Vogelsang
- Ist die Kaserne Vogelsang frei zugänglich?
- Sicherheit
- Aktueller Zustand der Kaserne Vogelsang 2022
- Fazit
Der Weg ins Niemandsland beginnt keine 100 Meter hinter dem Bahnhof. Ein paar baufällige Lagerhallen am Straßenrand, rostiger Maschendrahtzaun, dazwischen etwas verloren ein Einfamilienhaus. Kein Schild weist die Richtung. Wenn man nicht weiß, wonach man suchen muss, würde man diesen Ort keines weiteren Blickes würdigen.
Was vielleicht auch beabsichtigt ist. Nur ein paar Kilometer entfernt von hier wurden bis vor wenigen Jahrzehnten Nuklearraketen in unterirdischen Bunkern gelagert.
Kaserne Vogelsang: Die verlassene Stadt im Wald
Wir sind auf dem Weg zur Kaserne Vogelsang. Der frühere Armeestützpunkt wurde 1994 von der russischen Armee aufgegeben und ist seitdem ein „Lost Place“, ein vergessener Ort. Früher lebten hier 15.000 Soldaten mit ihren Familien abgeschieden von der Außenwelt. Über 500 Gebäude verteilen sich über das riesige Gelände – eine regelrechte Stadt mitten im Wald.
Eine Viertelstunde spazieren wir auf dem kerzengeraden Weg durch den verschneiten Wald. Kein Geräusch bis auf das Knirschen des Schnees unter unseren Schuhen. Eiskalte klare Luft, die Sonne scheint am blauen Himmel – der perfekte Tag, um sich in die Untiefen der jüngeren Vergangenheit zu begeben.
Schließlich erreichen wir eine Schranke, dahinter die Überreste eines Pförtnerhäuschens. Ein Schild am Baum informiert uns, dass wir militärisches Sperrgelände betreten. „Von der Liegenschaft gehen erhebliche Gefahren für Leben und Gesundheit aus.“ Wir nehmen die Warnung zur Kenntnis, aber das kann uns jetzt auch nicht mehr aufhalten.
Kurz darauf lichtet sich der Wald zu unserer Linken. Ein riesiges offenes Feld breitet sich vor uns aus, in der Mitte davon ein langgezogener grasbewachsener Hügel, der nicht natürlich aussieht. Vielleicht einer der Bunker? Wir stapfen durch den Schnee, um uns das näher anzuschauen.
Ab unter die Erde
Keine fünf Minuten später wissen wir, dass wir mit unserer Vermutung recht hatten. Ein winziger Tunnel führt in den Hügel. Im Inneren ist es stockfinster. Feuchte Luft kommt uns entgegen, als wir uns reinquetschen und im Gänsemarsch vorwärts kriechen.
Nackte Betonwände leuchten im Schein unserer Handy-Taschenlampen. Glassplitter knirschen unter unseren Füßen.
Nach ein paar Metern endet der Gang und wir stehen in einer Art unterirdischer Lagerhalle. An der halbkreisförmigen Decke verlaufen dicke Rippen aus Stein, dazwischen einige rostige Metallverstrebungen. Ich bin kein Experte für Militärarchitektur aber die tunnelähnliche, längliche Form des Bauwerks scheint wie gemacht für die Lagerung von Raketen.
Ein weiterer schmaler Tunnel führt in eine zweite baugleiche Halle. Die Wände sind eingestürzt, auf beiden Seiten türmen sich Schuttberge auf. Mit angehaltenem Atem tasten wir uns langsam vorwärts. Auf der Seite zweigt ein weiterer Tunnel in die Finsternis ab.
Wir entschließen uns weiterzugehen. Vielleicht hundert Meter weiter erreichen wir eine weitere Kammer. Verrostete Treppen aus Stahl führen in die Tiefe. Ich wage einen Blick hinunter und sehe im Schein der Lampe mein Spiegelbild. Anscheinend ist der untere Teil des Komplexes überflutet. Vielleicht Regenwasser, das im Lauf der Zeit heruntergesickert ist.
Also wieder zurück in die Lagerhalle. Es ist kalt, feucht und langsam würde ich diese finsteren Katakomben gerne verlassen. Gerade als wir umdrehen wollen, sehen wir vor uns schwachen Lichtschein. Durch ein Loch in der Decke fällt Sonnenlicht herab und da ist auch eine Leiter. Zwei Minuten später begrüßen uns die wärmenden Strahlen der winterlichen Mittagssonne.
Von unterirdischen Bunkeranlagen haben wir nach diesem Ausflug fürs Erste genug. Es wird Zeit, die eigentliche Stadt inspizieren.
Lese-Tipp: Vergessene Orte in Berlin und Brandenburg
Dieser tolle Bildband* stellt 37 spannende Lost Places rund um Berlin vor: verlassene Militäranlagen, aufgegebene Bahnhöfe, Flugplätze aus dem kalten Krieg, alte Brücken – vieles davon eher unbekannt und längst nicht nur die „Klassiker“.
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Lost in Vogelsang
Wir folgen dem Weg ins Zentrum, gespannt was uns noch erwartet. Und plötzlich sind wir da. Ganz unvermittelt. Im einen Moment sind da einfach nur Bäume, im nächsten stehen wir auf einer Art Platz, um uns herum überall Gebäude in den unterschiedlichsten Stadien des Verfalls.
Jede Richtung scheint genau so gut wie die andere zu sein. Also gehen wir einfach los und stöbern zwischen den Ruinen herum. Wir kommen an einem niedrigen Gebäude, von dem nur noch die Stahlverstrebungen und einige zerbrochene Glasscheiben übrig sind. Vielleicht früher einmal ein Gewächshaus?
An einer Mauer finden wir die Überreste eines Wandreliefs, das in den Stein gehauen ist. Wie zu erwarten martialische Szenen: Arbeiter an Maschinengewehren, der Sowjetstern, ein Raketenpanzer beim Angriff. Nebendran das finstere Gesicht eines Soldaten, das aber vermutlich ein Graffiti neueren Datums ist.
Das Innere der Gebäude ist in einem schrecklichen Zustand. Putz blättert in dicken Flocken von den Wänden. Die nackten Decken und Wände sind an vielen Stellen eingestürzt. In einigen Räumen ragen uns die Holzdielen in grotesken Winkeln entgegen. Obwohl die Gebäude offenstehen und den Elementen fast ungeschützt ausgeliefert sind, liegt ein muffiger Geruch in der Luft.
Während wir durch die Ruinen spazieren machen wir uns einen Spaß daraus, zu erraten, was hier früher einmal gewesen sein könnte. Manchmal ist es gar nicht so schwer. Klos sind immer gut zu erkennen und häufig noch recht gut erhalten. Die kleinen Zimmer mit Fenstern, die alle ihren eigenen Ofen in der Wand haben, könnten die Privatzimmer der Offiziere gewesen sein.
Spuren der Vergangenheit
Andere Bauwerke machen uns stutzig. In einem kleinen Gebäude finden wir ein mehrere Meter tiefes gekacheltes Becken, in das eine rostige Leiter hinunterführt.
Daneben eine Art Kessel. Könnte ein Boiler gewesen sein, aber das merkwürdige Rohr an der Seite gibt dem Ganzen eher das Aussehen einer Panzerhaubitze. Wurden hier Übungen für Kampfeinsätze unter Wasser durchgeführt?
In einem Gebäude – vielleicht ein Schulungszentrum – lehnt eine alte Tafel mit Fotos an der Wand. Panzer rollen über ein Feld. Eine startende Weltraumrakete. Soldaten, die Gefechtsübungen durchführen. Szenen aus einer Welt, die längst untergegangen ist. Schade, dass keiner von uns Russisch kann und wir den Text nicht verstehen.
Ein großer Speisesaal ist noch gut als solcher zu erkennen. Auf der einen Seite hinter einem Gitter die Essensausgabe, an der Wand kitschige Blümchenbilder, ein Balalaikaspieler und tanzende Frauen. Ein Wunder, dass die Malereien noch so gut erhalten sind. In ein paar Jahren wird wahrscheinlich nicht mehr viel übrig sein.
Irgendwann haben wir genug gesehen. Es geht auf den Nachmittag zu und wir beschließend zum Bahnhof zurückzulaufen. Zwischen den Bäumen tauchen immer neue Häuser auf. Hier könnte man tagelang herumspazieren und würde immer noch etwas Neues entdecken. Aber das ist eine Sache für das nächste Mal.
Anreise
Aus Berlin mit dem Zug RB 12 Richtung Templin bis zum Bahnhof Vogelsang. Von dort ein Stück an den Gleisen entlang nach Süden bis zur Burgwaller Straße. Dann einfach rechts abbiegen und der Straße durch den Wald folgen. Bis zum Zentrum der Garnison ist es ein Fußmarsch von knapp 2 Km.
Tipp: Gar nicht weit von der Kaserne Vogelsang liegt ein weiterer Truppenübungsplatz in der Kleinen Schorfheide. Schau dir diesen Beitrag für mehr Infos an.
Kaserne Vogelsang Karte
Ich hab auf der Karte mal einige interessante Punkte eingetragen. Keine Gewähr, dass die Gebäudebezeichnungen stimmen. Der halbe Spaß ist, selbst darüber nachzugrübeln, was das früher gewesen sein könnte.
Auf der Webseite Heimatgalerie.de gibt es zudem einige alte Karten der Garnison Vogelsang. Außerdem findest du dort jede Menge Hintergrundinformationen zum Standort. Sehr interessant, um etwas über die Geschichte der Garnison zu erfahren.
Meine Empfehlungen zum Wandern*
Softshell-Jacke Patagonia Torrentshell
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Ist die Kaserne Vogelsang frei zugänglich?
Das Gelände ist nicht abgesperrt und kann frei betreten werden. Ich habe einige Schilder gesehen, laut denen die Kaserne videoüberwacht wird. Neben einigen anderen Spaziergängern und Wanderern war von Personal o.ä. aber nichts zu sehen. Führungen auf dem Gelände gibt es meines Wissens nach nicht.
Sicherheit
- Die Gebäude sind baufällig und in einem sehr schlechten Zustand. Betreten auf eigene Gefahr!
- Vor allem die Fußböden in den oberen Etagen sind häufig eingebrochen und machen keinen sehr vertrauenswürdigen Eindruck. Hier ist Vorsicht angebracht.
- In den Bunkern ist es stockfinster. Ein Headlamp macht Sinn, wenn du da rein willst.
Wie es mit Munitionsverseuchung aussieht, kann ich nicht beurteilen. Wahrscheinlich ist es aber sicherer, auf den Wegen zu bleiben und nicht im Unterholz herumzulaufen. Außerdem trifft man immer mal wieder auf halbzugewachsene Abflussschächte und Löcher im Boden.
Aktueller Zustand der Kaserne Volgelsang 2022
Ich war Anfang November 2022 erneut auf dem Gelände der Kaserne Vogelsang. Begleitet wurde ich von Wolf-Sören Treusch, der eine Radio-Reportage für DLF Kultur macht. Zusammen haben wir uns umgeschaut, was derzeit noch übrig geblieben ist. Leider nicht mehr sehr viel – das Gelände wird aktuell komplett renaturiert, d.h. es werden alle Gebäude dem Erdboden gleichgemacht.
Inzwischen stehen noch etwa 28 Gebäude, darunter auch die Halle mit dem Schwimmbecken und dem Übungspanzer sowie einer der Speisesäle. Auch die „Heldenmauer“ mit den martialischen Wandreliefs ist noch da. Der Zustand ist schon deutlich schlechter als vor 1,5 Jahren, aber diese Mauer soll wohl auch in Zukunft erhalten bleiben.
Als wir da waren, fuhr ein Mitarbeiter des Wachdienstes seine Runden. Das Gelände wird derzeit überwacht, anscheinend werden auch Platzverweise ausgesprochen. Ansonsten waren etliche Bagger und auch ein paar Bauarbeiter zugange. Im Gespräch meinte der Chef des Sicherheits-Dienstes aber, dass immer noch relativ viele Leute aus der Urbex-Szene das Gelände besuchen.
Ein paar aktuelle Fotos, Stand November 2022 (zum Vergrößern anklicken):
Die unterirdischen Bunker waren noch zugänglich, allerdings ist der Verbindungsweg zwischen den Hallen inzwischen eingestürzt. Ich vermute, dass man diese unterirdischen Anlagen nicht einreißen wird, da sie an der Oberfläche nicht weiter stören. In ein paar Jahren werden die Eingänge wahrscheinlich eh komplett zugewachsen sein. Natürlich wird es mit zunehmendem Verfall dort unten nicht sicherer.
Die Reportage über die Kaserne Vogelsang lief am Freitag, den 18.11. 2022 bei DLF Kultur, und zwar in der Sendung „Ländereport“. Den Link dazu findet ihr hier: Von der Sowjetkaserne zur Geisterstadt. Hört gerne mal rein, meine Wenigkeit kommt in der Sendung auch zu Wort.
Mein Fazit
Es es immer noch ganz interessant, auf dem Gelände der ehemaligen Kaserne Vogelsang rumzulaufen, aber der Abriss hat natürlich seine Spuren hinterlassen. Beim letzten Mal fühlte es sich wirklich noch wie eine richtige Geisterstadt mitten in der Uckermark an. Inzwischen sind es nur noch ein paar vereinzelte Gebäude und Grundmauern. Und am Ende werden auch diese greifbaren Spuren der Vergangenheit verschwinden.
Ich finde es höchst bedauerlich, dass man diese wirklich interessante historische Stätte nicht irgendwie bewahrt hat. Aber klar… alles plattmachen und Gras über die Sache wachsen lassen ist natürlich einfacher und kostet deutlich weniger. Vielleicht fahr ich nächstes Jahr einfach nochmal hin, um zu schauen, wie es dann aussieht. Ich schätze aber nicht, dass man dann noch viel sehen wird.
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Warst du auch schon mal in der Stadt im Wald oder kennst du noch andere spannende Lost Places in Brandenburg? Dann nichts wie ab in den Kommentarbereich – ich freue mich über deinen Kommentar.
Lieber Selim, das ist ja spannend. Und das hast du so einfach verraten… Von dem Lost Place Vogelsang haben wir bislang noch nichts gehört, auch wenn wir immer Augen und Ohren aufhalten, was diese Orte in Brandenburg angeht. Würden wir uns bei Gelegenheit auch mal anschauen, wenn wir wieder in der Uckermark unterwegs sind. Allerdings stellt sich die Frage schon, wie ernst das Warnschild zu nehmen ist. Obwohl das Betreten andererseits auch wieder nicht explizit verboten wird. Kolay gelsin, viele Grüße von Gabi und Michael
Wir waren heute da und haben uns die Gegend angeschaut. Man kann bedenkenlos überall rum laufen und die Gebäude auch von innen anschauen. Leider muss man sagen, dass sie mittlerweile mutwillig zerstört werden.
Hi Gabi,
es gibt tatsächlich eine ganze Menge von diesen Orten in Brandenburg. Mit Google-Maps in der Satellitenansicht kann man da einiges entdecken:) Und ja… die Warnschilder würde ich auch nicht komplett ignorieren, da die Gebäude wie beschrieben sehr baufällig sind und jederzeit einstürzen können. Wegen Munitionsverseuchung weiß ich nicht genau. Da haben früher ja Leute gewohnt, also wird auch vermutlich nicht jeder Quadratmeter mit scharfer Munition voll sein.
Wir waren heute dort und leider wird da gerade alles nieder gemacht und man findet fast keinen Stein mehr auf den anderen die Gebäude werden alle abgerissen bzw sind es größtenteils schon
Hallo Anett,
vielen Dank für die Info! Ich war letzten Monat mal wieder in der Nähe des Gebiets aber nicht direkt auf dem Gelände. Werde bei Gelegenheit mal wieder vorbeischauen und den Artikel dann entsprechend aktualisieren.
Viele Grüße
Selim
Hallo Selim,
ich stöbere gerade im Netz nach LP´s, da wir nächste Woche eine mehrtägige Kanutour auf der Havel vor haben. Da ich schon mal in Fürstenberg an der Havel war und einige Brachen fotografiert habe, bin ich sehr erfreut über Deinen Tip. Deine Seite im übrigen finde ich klasse. Ich selber habe einenprivaten wordpress blog, den ich momentan einwenig vernachlässige, aber jetzt habe ich ja wieder einen Ansporn.
Viele Grüße,
Kerstin
Hi Kerstin – na dann wünsche ich dir viel Spaß bei deiner Kanutour!
Viele Grüße
Selim
Hallo Selim, toller Bericht und schöne Bilder! Besten Dank, mal wieder etwas Aktuelleres im Netz zur „Stadt im Wald“ zu finden. Wir waren schon lange nicht mehr dort und vor etlichen Jahren waren bereits die Bagger zu hören. Schön, dass sie wohl nur seehr langsam voran kommen. 😉
Liebe Gabi und andere, die sich wie ich auch immer ärgern, wenn unbekannte LPs im Netz mit genauen Angaben angepriesen werden: hier ist es kein Geheimnis, was Selim so schön berichtet hat. Diese Geisterstadt ist schon ewig lange bekannt und war auch deutschlandweiten Medien bereits einen Bericht wert, wie z.B. 2012 im Spiegel: https://www.spiegel.de/geschichte/geisterstadt-vogelsang-sowjetische-militaerruine-im-brandenburger-wald-a-947599.html
Schönen Gruß an alle, Heidi
Hallo Heidi,
freut mich, dass dir der Artikel gefallen hat. Und ja… ein Riesengeheimnis ist Vogelsang jetzt wirklich nicht, zumindest wenn man hier in der Ecke wohnt. Ich bin da auch über einen Bericht in den Medien drauf gekommen.
Viele Grüße
Selim
Und falls ihr euch für eine Führung über das Gelände in Vogelsang interessiert: Die gibt es einmal im Jahr. Nähere Infos findet ihr beim Forum für Konversion und Stadtentwicklung im Land Brandenburg (https://www.fokus-net.de)