Buchkritik: „Der Waldwanderer“ von Gerald Klamer

6.000 Kilometer ist der ehemalige Förster und leidenschaftliche Trekking-Fan Gerald Klamer durch Deutschland gewandert, um sich ein Bild unserer Wälder zu machen. Er hat sein altes Leben und seinen Job aufgegeben und ist als „Waldwanderer“ ein Jahr mit dem Zelt durch die Natur gestreift – und er hat ein Buch darüber geschrieben. Ist das Ergebnis genau so spannend wie seine Geschichte? Ich hab es mir mal angeschaut.

Hinweis: Das Buch wurde mir freundlicherweise vom Piper-Verlag als Rezensions-Exemplar zur Verfügung gestellt. Meine persönliche Meinung wird davon nicht beeinflusst.

Der Name Gerald Klamer war bis vor Kurzem wahrscheinlich nur den wenigsten ein Begriff. Zumindest in der Outdoor- und Trekking-Community hat Gerald aber doch einen gewissen Ruf. Auf seinem Blog Trekking Wild berichtet er seit Jahren von seinen weltweiten Touren und auch auf dem bekannten Forum der Outdoor-Seiten gibt es etliche spannende Tourenberichte von Gerald zu lesen. Genau so bin ich vor ein paar Jahren auch auf ihn aufmerksam geworden.

Ohne jetzt zu sehr ins Detail zu gehen: Gerald ist seit Jahrzehnten in aller Welt unterwegs und das merkt man ziemlich schnell, wenn man seine Berichte liest. Es sind Touren von denen die meisten Outdoor-Fans nur träumen: Autarkes Wildnis-Trekking im Himalaya. Wochen- oder monatelange Hochgebirgs-Durchquerungen. Dschungel-Treks in abgelegenen Gebieten in Südamerika. Auf eigene Faust mit Eingeborenen im afrikanischen Busch. Das sind echte Abenteuer – im Vergleich dazu wirken die üblichen Hütten-Touren und Fernwanderwege, von denen man sonst so liest, kaum mehr wie Sonntagsspaziergänge.

6.000 Kilometer für den Schutz unserer Wälder

Dementsprechend neugierig war ich dann auch, als ich von Geralds neuestem Projekt Waldbegeisterung hörte: 2021 wollte er einmal komplett durch die Wälder Deutschlands laufen. 6.000 Kilometer, fast ein Jahr auf Achse, fast nur im Zelt und ausschließlich mit kalter Ernährung, genauer gesagt mit einem Mix aus Babypulver, Wasser und Haferflocken. Warum macht man sowas?

Jedenfalls nicht nur zum Selbstzweck oder aus Spaß. Gerald hatte mit seiner ungewöhnlichen Tour ein konkretes Ziel: Auf die Bedrohung unserer Umwelt aufmerksam zu machen und die Menschen für den Schutz der Wälder zu gewinnen. Dafür musste er aber erst noch sein komplettes altes Leben aufgeben: Den Job, in dem er 25 Jahre gearbeitet hatte, die Wohnung, seine Habseligkeiten, im Prinzip Alles. Raus aus dem Alltag, rein in den Wald.

Eine wirklich spannende Geschichte – und genau das will sein Buch „Der Waldwanderer“ erzählen.

Der Waldwanderer Gerald Klamer Buchkritik

Buchkritik: Gerald Klamer – Der Waldwanderer

Formell wirkt das Buch auf den ersten Blick wie ein Reisebericht, wobei das eigentlich nicht ganz zutrifft. Im Prinzip geht es nicht so sehr um die Wanderung an sich, sondern um die Wälder, durch die Gerald läuft. Man darf in dem Buch also keinen dieser Abenteuer-Erlebnisberichte erwarten, die im Outdoor-Buchsegment so beliebt sind. Stattdessen bekommt der Leser eine realistische Zustandsbeschreibung des deutschen Waldes anhand von vielen einzelnen Beispieln.

Was mir bei der Lektüre als allererstes aufgefallen ist: Trotz der ungewöhnlichen Hintergrundgeschichte von Gerald ist „Der Waldwanderer“ ein betont sachliches Buch, was vielleicht auch einfach dem Naturell des Autors entspricht. Keine großen Übertreibungen, kein Alarmismus, kein langes Hin und Her. Einfach losgehen, beobachten und sagen wie es ist, auch wenn es manchmal unspektakulär ist – genau so ist die Realität eben manchmal.

Ich hätte so eine Story wahrscheinlich anders aufgezogen und dem Ganzen eine ordentliche Portion Drama injiziert, um den Unterhaltungswert zu erhöhen. Der Zustand der deutschen Wälder in der Kombi mit Geralds hardcore-minimalistischem Wanderstil würde das ja durchaus hergeben. Andererseits: In Zeiten, in denen jeder dritte Outdoor-Youtuber mit seinem Rucksack drei Tage durch den Harz rennt und das als großes Survival-Abenteuer verkauft, ist es geradezu erfrischend, wenn ein wirklich erfahrener Outdoor-Mann einen so unaufgeregten Stil pflegt.

Sachlich, verständlich und gut auf den Punkt gebracht

Die Gliederung der Kapitel folgt den Stationen von Geralds Reise. Ohne große Ausschmückungen, aber flüssig und immer gut zu lesen, bringt Gerald seine Beobachtungen auf den Punkt. Da er von Beruf Förster ist (bzw. bis zum Beginn seiner Wanderung war) weiß er, wovon er spricht. Das Buch gibt zahlreiche interessante Einblicke in die Fortwirtschaft und erklärt praxisnah, fundiert und auch für Laien verständlich, warum unser Wald so ist, wie er ist.

Wieso werden bestimmte Bäume abgeholzt? Was hat es mit den Wegen auf sich, die für die Forstfahrzeuge angelegt werden? Worin unterscheidet sich ein natürlicher von einem Wirtschaftswald? Das sind alles Fragen, die zumindest ich nicht einfach so beantworten kann und über die man sich häufig auch keine großen Gedanken macht. Bei meinem ersten Waldspaziergang nach Lektüre des Buches habe ich meine Umgebung auf jeden Fall mit etwas anderen Augen betrachtet.

Natürlich gibt Gerald mit seinem Background als Förster auch praktische Tipps, wie man den Wald in Zukunft besser schützen kann. Schließlich lautet der Untertitel des Buches ja: „Was wir jetzt für unsere Wälder tun können“. So wie ich ihn verstehe, plädiert er vor allem für einen naturnahen Wald – weg von den Fichten-Monokulturen, hin zu einem natürlichen Mischwald. Das habe ich auch schon vorher gehört, es ist also nicht der allerneueste Hut. In dem Buch finden sich aber noch jede Menge interessante Anregungen zu Fragen, die aktuell diskutiert werden, z.B. ob es Sinn macht, nicht heimische Baumarten bei uns anzusiedeln, weil die möglicherweise besser mit den steigenden Temperaturen zu Recht kommen.

Viele spannende Einblicke – und ein paar echte Geheimtipps für Wanderfans

Interessant fand ich auch die Einblicke in die Praxis der Fortswirtschaft. Beispiel: „Rückegassen“. Das sind die Wege im Wald, die speziell für die großen Holzernte-Maschinen angelegt werden. Natürlich hat man das als Wanderer schon mal gesehen – es sind diese großen hässlichen Schneisen, die gerade nach Regen völlig zugeschlammt sind. Was ich nicht wusste war, wie sehr diese Schneisen den Waldboden schädigen, etwa indem sie Pilzkolonien zerstören und die Wasserspeicher-Kapazität des Bodens stark beeinträchtigen. Es gibt viele solcher kleinerer Beobachtungen in dem Buch, bei denen man wirklich etwas dazulernt.

Weiterer Pluspunkt:  In dem Buch werden viele Gebiete in Deutschland vorgestellt werden, die man vermutlich nicht kennt, wenn man nicht gerade in der Nähe wohnt. Ich hab direkt mal ein paar Notizen gemacht und mir einige Orte für zukünftige Besuche vorgemerkt. Vom Enderttal, einem Seitental der Mosel, hatte ich vorher z.B. noch nie gehört, aber das klang sehr interessant. Und das ist nur eine von vielen Stationen.

Ganz nebenbei zeigt Gerald also auch noch, wie vielfältig und wie abwechslungsreich Deutschland sein kann. Interessant auch, das gerade von einem Autor zu lesen, der so viel herumgekommen ist. Die vielen Farbfotos sind natürlich auch toll und eine schöne Ergänzung. Sehr gut gefallen hat mir auch die Karte im Einband des Buches. So kann man die gesamte Reise immer gut nachverfolgen.

Nervig: Der rote Faden ist nicht immer klar erkennbar

So weit, so gut. Aber das Buch hat auch Längen, die ich hier nicht verschweigen will. Die zahlreichen Gespräche, die der Autor mit Umweltschützern, Forschern, Forstbeamten usw. führt, wirken für mich z.B. etwas unnatürlich und mehr wie ein Vorwand, um möglichst viele Sach-Informationen an den Mann zu bringen. In der fiktionalen Literatur nennt man so etwas „Info-Dumping“ – das übertrieben ausführliche Referieren von Hintergrund-Informationen, die der Leser zum Verständnis benötigt – kein Leser mag so etwas. Und leider ist das Buch voll davon.

Ein paar praktische Tipps für Fernwanderer gibt es auch, aber der Fokus liegt woanders. Geht auch klar… Was mich persönlich eher gestört hat, ist, dass das Buch keinen nachvollziehbaren Spannnungsbogen hat. Im Prinzip handelt es sich um eine Ansammlung von vielen einzelnen Episoden, die keine wirklich packende Geschichte erzählen. Es ist nicht so, dass ich hier jetzt einen Abenteuer-Roman erwartet hätte. Aber man sollte das Unterhaltungs-Bedürfnis der Leser auch nicht ganz ignorieren. Mich hat das Ganze streckenweise an einen überlangen Blog-Post erinnert, der so viele Sachinformationen enthält, dass ich irgendwann mental abgeschaltet habe.

Was nicht heißen soll, dass die einzelnen Abschnitte für sich gesehen langweilig oder völlig uninteressant sind. Aber eine Reise von 6.000 Kilometern hätte ich in einem Buch nicht einfach so runtererzählt. Da muss man eine Auswahl treffen, besonders wichtige oder einprägsame Episoden rausfiltern, Konflikte detailliert beleuchten, Spannung erzeugen. Schließlich soll „Der Waldwanderer“ laut Verlag trotz des durchaus ernsthaften Hintergrunds unsere „Begeisterung für den Wald neu entfachen“ – ich fand die ewige Abfolge von gleichen oder fast gleichen Tagesabläufen auf Dauer ehrlich gesagt etwas ermüdend.

Viele Episoden bleiben an der Oberfläche

Zwei Beispiele, die mir aufgefallen sind: An einem Punkt, ungefähr in der Hälfte des Buches, trifft sich Gerald mit seiner Familie und wir hören, dass er eine Tochter hat. Aha… interessant. Das wäre jetzt ein schöner Punkt, ein bisschen mehr über sein Leben außerhalb seiner Wanderungen zu erfahren. Wo kommt er her? Was treibt ihn an? Was denkt seine Familie über seinen ausgefallenen Lebensstil? Gerade in einem Buch erwarte ich mir solche Einblicke. Stattdessen gibt’s nur ein paar relativ oberflächliche Beschreibungen, wie alle zusammen Kaffee trinken und einer Blaskapelle lauschen. Am Ende ist die Episode schnell wieder vergessen.

Eine weitere interessante Begegnung, die spannungstechnisch im Prinzip verschenkt wird: Gerald trifft in der ZDF-Sendung „Klartext“ auf den Bundeskanzler Olaf Scholz, um ihn nach Lösungen zur Klimakrise und zur Verbesserung des Zustands der Wälder zu befragen. Trotz der immer neuen Katastrophenmeldungen der jüngeren Vergangenheit steht das Thema in der Sendung am letzten Punkt der Tagesordnung und der „Scholzomat“ rattert nur ein paar müde Standard-Floskeln runter – man kennt das ja zu Genüge vom Bundeskanzler.

Allein schon aus diesem skandalösen Umstand hätte man einen echten Aufhänger zimmern können. Mit ein bisschen Esprit vielleicht sogar einen flammenden Appell, dass die Politik endlich mal in die Pötte kommt und auch der Letzte aufwacht. Leider begnügt sich der Autor damit vom unbefriedigenden Tatbestand zu berichten, um dann frustriert von dannen zu ziehen. Mir ging es als Leser ganz ähnlich. Ich hätte mir zumindest ein paar schneidende Kommentare über das ewige „Immer-weiter-so“ in der Politik gewünscht.

6.000 Kilometer zu Fuß: Warum weniger vielleicht mehr gewesen wäre

Ich kann mir vorstellen, dass es schwierig ist, eine Reise von 6.000 Kilometern und ein Jahr voller Erlebnisse und Begegnungen angemessen in einem Buch von knapp 250 Seiten unterzubringen. Vor allem, wenn man dabei gleichzeitig auch noch auf den Zustand der Wälder aufmerksam machen will. Und ich will den Autor da auch nicht zu sehr in die Mangel nehmen. Schließlich beschäftigen Verlage für genau so etwas Lektoren, die am Ende noch mal drüberschauen und Verbesserungsvorschläge machen.

Mein Tipp wäre hier gewesen: Auf ein paar wenige Episoden konzentrieren und diese ausführlicher darstellen, anstatt so viel wie möglich unterzubringen. Ja… chronologisch und dramaturgisch kann es durchaus Sinn machen, alle Stationen einer Reise durchzugehen. Aber dann braucht man eben auch eine solide Dramaturgie. Und meiner Meinung nach hätte es nicht gestört, wenn man ein paar Etappen einfach weggelassen hätte. Die Message wäre auch so klar gewesen und weniger ist halt fast immer mehr.

Vielleicht hat hier einfach die Zeit gefehlt und der Bericht musste schnell auf den Markt, um den Medien-Hype auszunutzen? Ich hätte mir vom Verlag jedenfalls ein bisschen mehr Gefühl für das Unterhaltungs-Potential der Geschichte gewünscht. Das vorliegende Ergebnis liest sich für mich stellenweise wie das Manuskript für ein besseres Buch. Ein Buch, das mich mehr gepackt und mitgenommen hätte. Das ist wirklich schade, weil ich Geralds Einsatz in höchsten Maße bewundere.

Mein Fazit: Lobenswert, aber da wäre mehr drin gewesen

Am Ende bleibt ein etwas zwiespältiger Eindruck. Die Geschichte – Geralds Geschichte – ist der reine Wahnsinn und hat definitiv das Zeug zum Blockbuster. Einfach mal kurz sein altes Leben aufgeben, um 6.000 Kilometer durch die deutschen Wälder zu ziehen. Fast ein Jahr im Zelt zu leben und sich jeden Abend mit einem kalten Brei aus Haferflocken und Babypulver zu ernähren. Und das Ganze dann auch noch mit einem guten Ziel. Das ist schon eine krasse Story und ein geradezu unglaublicher Idealismus.

Wenn ich das alles im Hinterkopf habe, ist das Ergebnis für meinen Geschmack etwas zu prosaisch. Das Buch will zwar bewusst kein Outdoor-Reisebericht voller Abenteuer sein, aber meiner Meinung nach hätte man das Ganze spannender und mitreißender aufziehen können. Andere Autoren sind mit viel viel weniger persönlichem Einsatz (und deutlich egoistischeren Motiven) auf der Spiegel-Bestseller-Liste gelandet. Da ist es sehr schade, dass gerade so eine ungewöhnliche Geschichte hinter ihren Möglichkeiten zurückbleibt.

Ist „Der Waldwanderer“ deshalb ein totaler Reinfall? Nein, natürlich nicht. Mir hat es trotz der Längen ein paar unterhaltsame Abende beschert. Und wer vor allem eine realistische Beschreibung des deutschen Waldes von einem ausgewiesenen Fachmann will, wird hier voll auf seine Kosten kommen. Es ist nur… es hätte so viel mehr sein können und diese Story wäre es wirklich wert gewesen. Trotz alledem hoffe ich aber, dass sich das Buch gut verkauft und Gerald ordentlich Einnahmen beschert, damit er weitermachen kann. Es wäre wirklich zu schade, wenn das das letzte Mal wäre, dass wir etwas von ihm hören. Beim nächsten Mal dann aber bitte mit ein bisschen mehr Flair!

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