GR 132 auf La Gomera – Tag 2: Jerdune – Lo del Gato

  • Route: Jerdune – Vegaipala – Las Tocas – Benchijigua – Lo del Gato
  • Länge: 13,5 km
  • Höhenmeter: +884, – 1281
  • Übernachtung: Zelten im Barranco de Benchijigua

Im Morgengrauen baue ich das Zelt so schnell es geht zusammen und verlasse fluchtartig den Schlafplatz. Zwei Heringe, die Zelthülle und das Kopfkissen sind definitiv weg und liegen jetzt irgendwo ein paar hundert Meter weiter unten zwischen den Kakteen in der Schlucht. Egal – ich hab zum Glück ein paar mehr Heringe mitgenommen als ich eigentlich brauchte.

Wanderweg im Barranco de Chinguarime auf dem Weg nach Jerdune.

Über schmale, steinige Pfade geht es zu dem Dörfchen Jerdune. Obwohl ich gestern in der Dämmerung ein paar Lichter gesehen habe, wirkt der Ort wie ausgestorben. Wahrscheinlich ist er es auch. Die Straße nach Westen lasse ich links liegen und laufe stattdessen auf einem Höhenrücken, der den Barranco Juan de Vera vom benachbarten Barranco de Chinguarime trennt.


Es ist ein kleiner Umweg, aber die Blicke entschädigen für alles. Tiefe Schluchten, an den Hängen kunstvoll angelegte Terrassen, tropische Palmen – was für ein Paradies. Und wie grün alles ist! Wo kriegen die Pflanzen in dieser wüstenartigen Landschaft nur das Wasser her? Vielleicht aber noch wichtiger: Wo kriege ICH Wasser her? Mein Vorrat ist nämlich inzwischen auf einen knappen Liter zusammengeschrumpft.

Die Landschaft ist eine faszinierende Mischung aus mediterranen und tropischen Einflüssen – das alles eingebettet in eine herrlich wilde Berglandschaft.

Hinter dem ebenfall verlassen wirkenden Örtchen Vegaipala habe ich aber Glück. Der Weg überquert ein schmales Flussbett und einige Meter weiter oben schimmert es blau zwischen den Büschen. Über einen kleinen Wasserfall ergießt sich kühles Nass in einen bescheidenen Pool. Bis ich alles gefiltert und das Frühstück nachgeholt habe, vergeht eine weitere Stunde.

Bei Las Tocas trifft der Weg wieder auf die Hauptstraße GM-3, der ich natürlich nicht folge. Stattdessen biege ich auf eine Schotterpiste die nordwestlich nach Benchijigua führt. Der Plan ist, jetzt erstmal gut Strecke bis El Rumbazo zu machen, dann über den Barranco de Guirimar wieder aufzusteigen und zum Schluss gemütlich an die Küste runterzuspazieren. Vielleicht ein bisschen optimistisch, wenn man bedenkt, dass schon nach 12:00 Uhr ist.

Schotterpiste nach Benchijigua . Im Hintergrund erhebt sich der „Roque de Agando“ – eines der Wahrzeichen La Gomeras.

Bis Benchijigua komme ich gut voran. Aber dann habe ich die schlaue Idee, von der Schotterpiste abzuweichen und stattdessen auf den Trampelpfaden südlich des kleinen Ortes weiterzulaufen. Ich bin ja nicht hierher gekommen, um auf der Straße zu wandern…


Abenteuerlich ist es auf jeden Fall – und für eine gewisse Zeit macht es auch Spaß, sich wie Indiana Jones durch den Kakteendschungel durchzuschlagen. Von einem Weg kann hier keine Rede mehr sein. Ich kraxele die Terrassen hoch wie sie kommen, laufe durch kniehohes Gras und suche mir den Weg des geringsten Widerstands durch die stacheligen Kakteenstauden.

Verwilderter Wanderwege im Barranco de Benchijigua (auf machen Karten auch als Barranco de Santiago bezeichnet).

Bis heute weiß ich nicht genau, wie ich auf einem so kurzen Wegstück von vielleicht zwei oder drei Kilometern so viel Zeit verloren habe. Wahrscheinlich liegt es daran, dass ich oft genug einfach wieder umdrehen muss, weil sich der „Weg“ mitten im Dickicht verliert. Und das obwohl ich hier gar nicht durch eine echte Wildnis laufe, sondern immer wieder an alten halbzerfallenen Gebäuden vorbeikomme.

Im Prinzip ist es eine Kulturlandschaft, allerdings völlig verwildert. Teilweise treffe ich auf Steinmännchen oder verblasste Markierungen, irgendwann sogar auf einen alten Wegweiser nach Imada. Aber wenn ich mir die verlassenen Häuser anschaue, kann ich mir schon ausmalen, wann hier das letzte Mal jemand vorbeigekommen ist. So fühlt sich La Gomera also jenseits der normalen Wanderwege an…

Es ist später Nachmittag als ich völlig durchgeschwitzt in Lo del Gato ankomme. Hier sehe ich zum ersten Mal seit eineinhalb Tagen wieder einen anderen Menschen – ein spanisches Mädchen, das gerade auf der Terrasse hockt, mich kurz grüßt und sich dann wieder dem Smartphone zuwendet. Die Zivilisation hat es irgendwie also auch in diesen Winkel geschafft.

Das verlassen wirkende Örtchen Lo del Gato – eine grüne Oase in der schroffen Felsenlandschaft La Gomeras.

Der Blick auf die Karte ist ziemlich frustrierend. Ich habe gerade einmal ein Drittel der geplanten Strecke zurückgelegt. Eigentlich wollte ich jetzt schon wieder auf dem Weg zur Küste sein. Tatsächlich liegen noch zwei Schluchten vor mir, eine davon mit knapp 1000 Höhenmetern im Aufstieg, die andere genau so steil wieder runter.

Terrassenkulturen im Barranco de Benchijigua kurz hinter Lo del Gato. Hier habe ich den Tag beendet und nach einer kleinen Kraxeltour einen guten Zeltplatz gefunden.

Ok – was solls… Am Ende bin ich aus Spaß hier und nicht um irgendeinem Terminplan hinterherzuhetzen. Ich laufe noch ein paar Kilometer den prächtigen Barranco runter, genieße die letzten Sonnenstrahlen und suche mir dann einen schönen Zeltplatz auf den Terrassen. Als die Sonne untergeht, beginnt das Froschkonzert und wiegt mich in den wohlverdienten Schlaf.

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