Everest Three Passes Trek Etappe 10: Dragnag – Gokyo

Dieser Beitrag ist Teil einer 18-teiligen Artikelserie über meine Wanderung auf dem Three Passes Trek durch die Everest Region.

Route: Dragnag (4.700 m) Gokyo (4.790 m)

  • Länge: 4 km
  • Höhenmeter: + 120, – 45 hm
  • Übernachtung: Cho Oyu View Lodge

Charakter: Anstrengende Überquerung des längsten Gletschers von Nepal. Die Gehzeit steht in keinem Verhältnis zur zurückgelegten Strecke. Die Route ist mit Steinmännchen und Fahnen markiert, dennoch ist der Weg teilweise unklar. Beim Verlassen des Gletschers besteht die Gefahr von Steinschlag.

  • Schwierigkeit nach SAC: T4
  • Dauer: ca. 3 Stunden

Erstmal ist lange Ausschlafen angesagt. Heute wird ein kurzer Tag, ich fühle mich nicht besonders. Mein Hals kratzt, scheinbar kündigt sich eine Erkältung an. Das hatte ich bereits auf dem Langtang Trek letzten Monat und diese Erfahrung würde ich ungern wiederholen. Hier oben ist es eh schon kalt und ungemütlich, auch wenn man fit ist. Mit einer Erkältung macht das alles deutlich weniger Spaß. Also lasse ich es langsam angehen.

Kurzer Anmarsch zum Gletscher, im Hintergrund Cho Oyu, der sechsthöchste Berg der Welt:

Rein von der Strecke sieht es so aus, als ob man für die knapp vier Kilometer über den Gletscher nicht mehr als eine Stunde braucht. Aber nur wenn man das Terrain ignoriert. Der Ngozumpa-Gletscher, der vom Cho Oyu herunterfließt, ist mit seinen 36 Kilometer der längste Gletscher von Nepal. Eine endlose geröllbedeckte Mondlandschaft. So groß, dass man gar nicht denkt, vor einem Gletscher zu stehen. Ein einziges Labyrinth aus Gräben, Seen, schuttgefüllten Senken und Schmelzwasserbächen. Und genau da darf ich jetzt durch!

Vielleicht liegt es auch daran, dass ich heute nicht so fit bin. Aber was mich wirklich an diesem Gletscher fertig macht, sind die Ausmaße … das ist schon beim Anschauen zermürbend. Das Größenverhältnis zwischen Mensch und Landschaft ist bis ins Absurde verzerrt, die Dimensionen stimmen einfach nicht. Es fühlt sich fast vergeblich an, überhaupt loszulaufen. So als würde man in einer Nussschale in See stechen, um den Ozean zu überqueren.

Der Weg ist wie schon auf dem Khumbu-Gletscher wieder mit Stangen und Fähnchen markiert, teilweise auch mit Steinmännern. Ein paar Mal verlaufe ich mich trotzdem im Geröll. Größtenteils klappt die Routenfindung aber ganz gut. Dennoch ist es kein Spaziergang. Es geht permanent durch quasi wegloses Terrain rauf und runter. Mal einen schotterbedeckten Hang hinab, an einem der Seen vorbei und dann wieder auf einen blockübersäten Grat hoch. Richtig schönes Knochenbrecher-Terrain!

Einer der zahlreichen kleinen Schmelzwasserseen auf dem Gletscher:

Nur an den Abbruchkanten erkennt man, dass ich auf einer meterdicken Eisschicht laufe und nicht durch eine Geröllwüste:

Blick zum Cho Oyu, hier bin ich ziemlich in der Mitte des Gletschers:

Trotz der Strapazen – der Alleingang ist auch faszinierend. Am stärksten beeindruckt mich, wie instabil, wie verformbar, diese gewaltige Gebirgslandschaft des Himalaya eigentlich ist. Alles hier ist im Fluss, im stetigen Wandel. Angetrieben von einer Kraft, die ohne erkennbare Absicht handelt, aber ganze Landschaften nach ihrem Belieben gestaltet. Wäre da nicht die tiefe Stille und die Abwesenheit von Maschinen – fast könnte der Gletscher eine riesige Baustelle sein.

In der Einsamkeit dieser Urlandschaft spinne ich den Gedanken ein bisschen weiter. In einem gewissen Sinne ist der Gletscher eine Baustelle: Hier ist ein Ort, an dem große Arbeiten stattfinden. Berge werden aus der Erdkruste gepresst, von den Eismassen kleingemahlen und im Laufe der Jahrtausende ins Tal transportiert. Das ist der Himalaya, das größte Gebirge der Erde. Ein Ort an dem Kontinente aufeinanderprallen und die Urkräfte von Tektonik, Schwerkraft und Erosion ihre Muskeln spielen lassen.

Mit diesen Gedanken im Kopf erreiche ich schließlich die steile, bestimmt hundert Meter hohe Randmoräne auf der anderen Seite des Gletschers. Eine Gruppe aus Russland kommt mir entgegen. Einer der Trekker warnt mich vor Steinschlag. „Very steep, you have to go fast, don’t take photo!“ Na Dankeschön… genau das was ich jetzt noch gebraucht habe. Der Hang sieht tatsächlich nicht besonders vertrauenserweckend aus, anscheinend geht es mitten durch das lose Geröll hinauf.

Ausstiegsweg über die Seitenmoräne des Gletschers. Überall liegen Felsbrocken rum, die sich potentiell lösen können:

Am Ende komme ich wohlbehalten oben an. Aber ein bisschen mulmig war mir schon dabei. Der Hang der Moräne ist ziemlich rutschig, ich bin mehrmals direkt unterhalb von großen Felsbrocken gelaufen. Die Frage ist hier eigentlich nicht ob, sondern nur wann sich einer dieser Brocken löst und in Richtung Gletscher runterpurzelt. Im Idealfall, wenn man nicht gerade darunter steht. In den Alpen wäre so ein Weg höchstwahrscheinlich nicht als offizielle Route freigegeben. Aber gut… das hier ist Nepal. Da sieht man sowas lockerer.

Blick zurück über den Aufstiegsweg:

Danach ist es nur noch ein kurzes Stück bis Gokyo. Das Örtchen liegt direkt an einem großen, tiefblauen See. Fast schon idyllisch, wenn man von der bedrückenden Moränenlandschaft absieht. Das fällt allerdings schwer, denn diese Landschaft überschattet hier alles. Ich finde den Anblick des winzigen Dörfchens im Bann der Naturgewalten durchaus faszinierend, aber nein… das ist kein Ort, der mein Herz erwärmt. Dazu fehlt dieser kalten, kargen Hochgebirgswelt die Farbe, die Wärme, das Leben.

In Dragnag wurde mir die „Cho Oyu View Lodge“ empfohlen und hier quartiere ich mich auch ein. Die Aussicht aus dem Speisesaal über den Gokyo Lake ist grandios, von hier drinnen wirkt es dann doch gleich ein bisschen heimeliger. Außerdem sind die Zimmer überraschend gut isoliert, in diesen Höhen keineswegs eine Selbstverständlichkeit. Ich kann mich tatsächlich ohne Daunenjacke aufs Bett legen und ein paar Minuten entspannen.

Am Nachmittag gehe ich noch zu dem kleinen Hospital und lasse vorsichtshalber meinen Sauerstoffgehalt im Blut messen – 85, also alles in bester Ordnung. Trotzdem will ich morgen einen Pausentag machen und zu den Seen im oberen Teil des Tals wandern. Danach steht dann schon der letzte Pass der Tour an, der Renjo La. Nur noch dieses eine Hindernis und ich bin endlich wieder in wärmeren Gefilden…

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